Die nachfolgende Analyse von Matthias Schindler B.A., dem Gründungsmitglied des Nicaragua Vereins Hamburg e.V., befasst sich mit dem Anfang Juni verabschiedeten Amnestie-Gesetz…
Diese Auto-Amnestie scheint auf den ersten Blick die Forderung der demokratischen Bewegung nach Freiheit aller politischen Gefangenen zu erfüllen. In Wirklichkeit stellt dieses Gesetz jedoch die wahren Verhältnisse auf den Kopf und tritt die Forderungen der Oppositionsbewegung mit Füßen.
Am 9. Juni 2019 beschloss das Parlament Nicaraguas ein Gesetz, das den Namen „Amnestie“ trägt. Zutreffender wäre jedoch die Bezeichnung „Gesetz zum Schutz von Mördern und deren Auftraggebern vor strafrechtlicher Verfolgung“oder kurz gesagt „Auto-Amnestie“, weil sich durch dieses Gesetz die Täter –die Mörder –des vergangenen Jahres selbst amnestieren. Dieses Gesetz ist Teil einer vor allem auf die internationale Öffentlichkeit ausgerichtetenTäuschungskampagne. Das Präsidentenpaar Ortega-Murillo versucht aktuell alles, um international den Eindruck der Normalität und einer um den inneren Frieden bemühten Regierung in Nicaragua zu erwecken. Das Regime will damit verhindern, dass internationale politische und wirtschaftliche Sanktionen gegen die orteguistische Regierung zur Anwendung kommen.
Es bezieht sich auf „alle Personen, die an den Ereignissen teilgenommen haben, die seit dem 18. April 2018 passiert sind“. Es „amnestiert“ also die in ihrer überwiegenden Mehrheit friedlichen Protestierenden, die niemals etwas Unrechtes getan haben, in der gleichen Weise wie die hochbewaffneten staatlichen und parastaatlichen Repressionskräfte, die über 300 Menschen ermordet, Tausende verletzt, unter illegalen Umständen in die Gefängnisse geworfen und ins Exil vertrieben haben. Es schließt alle Personen ein, gegen die noch gar nicht ermittelt wurde, gegen die bereits Ermittlungen laufen, gegen die bereits Prozesse laufen oder die bereits Strafen verbüßen, zu denen sie verurteilt wurden. Es gibt etwas mehr als 20 Tote, die zur Polizei gehörten oder der Regierung Ortega nahestanden. Dies sind die einzigen Fälle, bei denen – in äußerst fragwürdigen Prozessen – die Todesumstände untersucht und angebliche Verantwortliche für diese Todesfälle verurteilt wurden.
Die Todesumstände für die 300 weiteren Opfer, die die Opposition zu beklagen hat, wurden bisher nicht untersucht, es wurde keine Anklage auch nur gegen einen einzigen Polizisten, Paramilitär oder höherstehenden Befehlsgeber erhoben. Aber irgendjemand muss diese Menschen ja umgebracht haben. Die nicaraguanische Gesellschaft wird nicht darauf verzichten, diese Todesfälle zu untersuchen.Und genau dies ist der Grund dafür, dass diese Auto-Amnestie prophylaktisch auch schon diejenigen mit einschließt, gegen die bisher noch gar nicht ermittelt wurde, die aber solche Ermittlungen zu erwarten haben, wenn das Regime Ortega durch eine demokratische Regierung ersetzt worden ist.
Der Kern dieses Gesetzes besteht also daraus, die staatlichen Beteiligten an den Unterdrückungsmaßnahmen des vergangenen Jahres zu amnestieren und diese auch in Zukunft vor Strafverfolgung zu schützen, selbst wenn bisher noch gar nicht gegen sie ermittelt wurde.
Dagegen wäre eine Amnestie für die politischen Gefangenen gar nicht nötig gewesen. Die gegen sie laufenden Prozesse hätten durch richterliche Freisprüche oder Einstellungen der Verfahren beendet werden können. Die bereits Verurteilten hätten in der nächst höheren Instanz oder durch den Obersten Gerichtshof freigesprochen werden können. All dies wäre mit den aktuell vorhandenen Gesetzen und Gerichten möglich gewesen. Aber dann wären die Täter der Repression vom Vorjahr ja nicht miterfasst worden, und deswegen wurden diese juristischen Wege nicht beschritten.
Ausgenommen von diesem Gesetz sind jedoch Personen, die nach Gesetzen im Rahmen von „internationalen Verträgen“ behandelt werden. Dahinter verbirgt sich eine Gesetzgebung gegen den Terrorismus, was bedeutet, dass alle Oppositionellen, die terroristischer Taten beschuldigt werden, von vorn herein von dieser„Amnestie“ausgeschlossen sind oder zumindest ausgeschlossen werden können.
Außerdem bestimmt dieses Gesetz, dass die Verfahren gegen Personen, die in den Genuss dieser „Amnestie“ gekommen sind, sich aber in Zukunft wieder gesetzeswidrig verhalten, wieder aufgenommen werden können. Da aus Sicht des Regimes und dieses Gesetzes aber schon friedliche Demonstrationen als Putsche interpretiert werden, ist diese „Amnestie“ eine direkte Bedrohung der demokratischen Rechte der bisherigen politischen Gefangenen.
Hier sei ausdrücklich noch einmal darauf hingewiesen, dass die völlig unangemessene Gewalt, die von der Regierung Ortega ab April 2018 gegen das nicaraguanische Volk ausgeübt hat, von der Unabhängigen Expertenkommission GIEI (Grupo Interdisciplinario de Expertos Independientes) als Verbrechen gegen die Menschheit charakterisiert wurde. Diese hoch organisierten, gewaltsamen, grausamen, bewusst geplanten und allgemein ausgeübten Verbrechen können nach internationalem Recht jedoch nicht amnestiert werden, sie können auch nicht verjähren, und sie unterliegen der universalen Gerichtsbarkeit, d.h. sie können auch in anderen Ländern vor Gericht gebracht werden, wenn sie in dem Land, wo sie verübt wurden, nicht gerichtlich verfolgt werden.
Diese Auto-Amnestie ist ein klares Anzeichen dafür, dass das Regime sich auf die Situation post-Ortega vorbereitet und dabei versucht, diejenigen Personen zu schützen, die an den gewaltsamen Unterdrückungsmaßnahmen als Täter oder Befehlsgeber beteiligt waren. Diese Situation ist umso dramatischer, als die vom Regime ausgerüsteten und bezahlten Paramilitärs bisher nicht entwaffnet wurden und daher –unabhängig von der zukünftigen Regierung Nicaraguas –als tödliche politische Bedrohung gegen jegliche demokratische Aktivität im Hintergrund bereitstehen werden, um jeglichen Befehl von Ortega oder Murillo auszuführen.
Matthias Schindler (10.06.2019)
Abbildung: Das Foto zeigt ein Plakat, das nicaraguanische Asylbewerbende anlässlich einer Demo in Hamburg im April erstellten (Foto: SG).